Auf Wohnungssuche

 

Wie verschieden verteilt sind doch die Lebensaufgaben der Kerfe! Schmetterlinge, die überwintert haben oder im Lenz aus ihren Puppenhüllen schlüpfen, erleben einen unbeschwerten Frühling, lassen sich von den Blumen ernähren, flattern von einem Liebesspiel zum anderen, kurz, sie vertändeln ihre sonnigen Tage mit genüßlichen Dingen. Solch ein süßes Leben ist Bombina nicht bestimmt. Denn die befruchtete Bombina erwartet schon bald Nachwuchs, der viel von ihr verlangt: harte Arbeit, zähes Ausharren, Mut und Geschicklichkeit. Hummelbrut ist während ihrer ganzen Entwicklung hilflos, sie muß von den Müttern ausreichend geschützt und dauernd versorgt werden. Bombina muß sich sputen, denn jetzt gilt es, eine eigene Wohnstätte zu finden, und das kann lange dauern.

Erdhummeln bauen ihre Nester in Höhlen. Das tun viele ihrer Verwandten aus der Gruppe der Stachelimmen, und wir kennen unter ihnen hervorragende Baumeisterinnen, die ihre unterirdischen Stollengänge und Kammern in den verschiedensten Formen selbst ausschachten: Ameisen, Grabwespen, Furchenbienen und auch die den Hummeln äußerlich recht ähnlichen Pelzbienen. Zu solchen Arbeiten aber sind Hummeln nicht befähigt, sie suchen sich vielmehr verlassene Fertigbauten anderer Tiere oder natürliche Höhlen. Davon gibt es genug; alte Wühlmausgänge und dergleichen finden sich überall. Aber es ist selten der Fall, daß diese Gelegenheiten den Ansprüchen einer Hummelfamilie auf den ersten Anhieb entsprechen.

Und zudem ist Bombina nicht die einzige, die sich jetzt auf Wohnungssuche begibt. Mit ihr fahnden bereits viele andere nach günstigen Objekten. Instinktiv sucht Bombina zunächst das mütterliche Heim vom letzten Jahr auf, und ihr ausgezeichneter Orientierungssinn läßt sie den heimlichen Zugang trotz der inzwischen verstrichenen Zeit bald wiederentdecken. Doch eine ihrer Schwestern ist früher aufgestanden und hat bereits die Wohnung bezogen. So friedlich die beiden im vergangenen Jahr miteinander gelebt, so eng und kameradschaftlich sie sich an kalten Tagen aneinandergepreßt und ohne Neid aus denselben Honigtöpfen geschleckt haben, so gründlich scheint das alles vergessen zu sein. Jetzt herrscht ein anderer Ton: Erbittert streiten die beiden um das Erbe, balgen miteinander und reißen sich wie Furien gegenseitig die Haare aus. Die Schwester besitzt indes die schärferen Krallen und bissigeren Kiefern. Sie zwickt und kratzt so heftig, daß Bombina sich geschlagen gibt und sich zuletzt fluchtartig zurückzieht.

Nun muß sie es anderswo versuchen. Dicht über der Erde ihre Kreise ziehend, erforscht sie überall das Gelände nach einer verborgenen Unterkunft. Es gibt viele Örtlichkeiten, die geprüft werden müssen, aber keine entspricht ihren Erwartungen, oder sie sind bereits von anderen Erdhummeln besetzt. Auch an gefährlichen Begegnungen fehlt es nicht. Einmal, in einem Loch unter einem Felsbrocken, rennt sie beinahe einer Eidechse in den Rachen, nur im letzten Augenblick kann sie dem entsetzlichen Drachen entwetzen. Zornig pfeifend stürzt Bombina ans Tageslicht und beruhigt sich erst nach einem guten Tropfen Märzenbechernektar. Bald darauf stolpert sie in einem halbverfallenen Erdgang fast über eine Spitzmaus, die zum Glück eben ihr Nickerchen macht.

Als Schneeflocken vom Himmel wirbeln, ein eisiger Nordost über das Land fegt und für drei Tage der Winter zurückkehrt, muß Bombina eine Pause einlegen und ihre kostbare Zeit tatenlos unter einem Haufen welker Blätter vertrödeln. Erst in der zweiten Woche — sie hat inzwischen wohl fast tausend Löcher und Höhlen geprüft — entdeckt sie endlich etwas, das ihren Absichten so ziemlich entspricht. Am Rain einer südseitigen Hangwiese liegt unter einem Steinhaufen ein alter Stollen, vor Nässe geschützt, Gestrüpp und Wurzelwerk verbergen den Zugang. Der Stollen führt nach mehreren Windungen in etwa zwanzig Zentimeter Tiefe in eine Kammer, geräumig genug für hundert und mehr Hummeln. Trotz der Schneeschmelze ist der Raum knochentrocken. Irgendwer muß in vergangener Zeit diese Höhle bereits bewohnt haben, denn am Boden verstreut liegen noch Häufchen zerbissener Halme, Flaumfedern und Pflanzenwolle.

Lange und gründlich prüft Bombina die Vorteile der Behausung und erforscht auch die nähere und weitere Umgebung, insbesondere nach Ameisennestern. Da sie nichts Bedrohliches entdeckt, ist sie entschlossen, hier seßhaft zu werden. Sie säubert Stollen und Kammern von Schutt und Abfällen, nimmt sich die vorhandenen Niststoffe vor, zerrupft die gröberen Teile sorgfältig zu feinsten Fasern und schichtet sie am Ende der Kammer zu einem Haufen. Ringsum stützt sie ihn mit Erdkrumen und kleinen Steinchen ab. In der Mitte ihrer „Daunen" stampft und wühlt sie einen kleinen Pfuhl zurecht, der ihr reichlich Platz gewährt. Bis spät in die Nacht werkelt sie bald da, bald dort, um dann todmüde, zum erstenmal im neuen Heim, im eigenen Bett einzuschlummern.

 

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