Aus achtbarer Familie

Sie sitzt auf einem Stein am Waldrand; die milde Märzsonne trocknet ihren nassen Pelz und erwärmt den noch halberstarrten Körper. Bombina, die Erdhummel, gleicht aufs Haar ihren zahllosen Schwestern, die alljährlich im Sommer unsere Fluren bevölkern; auch in ihrem Benehmen gibt es nichts, was sie von anderen Erdhummeln unterscheidet. Es sei denn, daß sie so früh im Lenz schon unterwegs und daß ihre Figur so überaus stattlich ist; vom Rüssel bis zur Spitze ihres Stachels mag sie mehr als zweieinhalb Zentimeter messen; zweifellos also ein Hummelweibchen, das überwintert hat und dem ein langer Sommer, reich an Pflichten und Gefahren, bevorsteht.

Den etwas zur Fülle neigenden Körper umhüllt ein schwarz, gelb und weiß gebänderter Rauhhaarpelz, der außer den sechs schlanken Beinen nur das dunkel getönte Gesicht freiläßt. Zwei große, glänzendschwarze, oval geformte Augen starren in die noch karge Welt des eben beginnenden Frühlings. Sie reichen, ein wenig seitwärts stehend, vom Scheitel hinunter bis beinahe zu den Kiefern, und jedes Auge ist aus zweitausend einzelnen, voneinander unabhängigen, mit allem notwendigen Zubehör ausgestatteten Facettenaugen zusammengefügt. Zusammen erzeugen sie auf der Netzhaut ein mosaikartiges Bild der Umwelt. Sie sind zwar lichtschwächer und unschärfer als das Menschenauge, ihm aber darin überlegen, daß sie sowohl Richtung wie Geschwindigkeit sich bewegender Dinge, besonders in der Nähe, schneller und genauer registrieren. Hoch oben an der Stirn liegen noch drei kleine, punktförmige Augen, deren Zweck noch niemand kennt. Darunter ziert ein kleines Büschelchen schwarzer Haare das Gesicht, dessen Wangen eher breit als lang sind. Zwischen den Augen ragen zwei Antennen empor, geformt aus je einem Schaft mit Wendeglied und der zehngliedrigen Geißel. Statt des Mundes sehen wir zwei scharfkantige, gezähnte Oberkiefer, die mit ihren Kauflächen senkrecht gegeneinander stehen. Den feinen, zehn Millimeter langen Rüssel trägt unsere Hummel eingerollt unter dem Kinn.

Bombina stammt aus einer achtbaren Hummelfamilie. Das muß betont werden, weil manche anderen Hummeln ein geradezu rücksichtsloses Schmarotzerleben auf Kosten ihrer Verwandten führen und weil ein echter Zusammenhalt wie in der Bombina-Familie bei Insekten nur selten vorkommt. In den volkreichen Gemeinschaften der Ameisen, Bienen und Termiten zum Beispiel beschäftigen sich die Mütter, die sogenannten Königinnen, stets nur mit der Ablage ihrer Eier. Die Hummelmütter dagegen teilen in ihren weit kleineren Nestern zeitlebens alle anfallenden Arbeiten getreulich mit ihren Töchtern.

Bombinas Vater hat das Schicksal aller Hummelväter erlitten, er starb bereits zehn Monate vor ihrer Geburt. Die Mutter mußte für die Nachkommen sorgen. Sie verschaffte ihnen ein solides, behagliches Heim tief unter der Erde, baute Wiegen mit eßbaren Zellwänden hinein und zog zunächst siebenundfünfzig Töchter auf; sie waren und blieben sehr klein, nur halb so groß wie Bombina. Auch die folgenden erreichten ihre Größe nicht, alle waren sie unfruchtbar, aber sie erwiesen sich als sehr fleißige Hilfskräfte der Mutter. Mit Beginn des letzten Sommers kamen dann erst die Söhne hinzu, fünfzehn an der Zahl und zwölf prächtige, vollentwickelte Töchter, unter ihnen auch Bombina.

Bombina hatte sich — wie auch die anderen Schwestern — vollkommen verwandelt, bevor sie als stattliche Hummel das Licht der Welt erblickte. Denn vorher lebte sie, nachdem sie die mütterliche Eischale gesprengt hatte, im Dunkel ihrer Zelle und hatte die Gestalt und das Wesen eines vorn und hinten zugespitzten winzigen Würmchens. Die enge Kammer der Zelle war mit Futterbrei aus Honig und Blütenstaub angefüllt. Obenauf, neben ihr, lagen zwei Tröpfchen reinen Honigs, den sie sich sofort einverleibte. Später nährte sich das Bombinawürmchen von dem Futterbrei, und aus dem Würmchen wurde eine fette Larve. Drei Wochen später schon spann die Larve rings um ihren Körper eine feste Hülle, einen Kokon, und vollzog darin eine neue Verwandlung. Sie löste sich gleichsam selber auf, und nun erst entstand auf geheimnisvolle Weise das fertige neue Wesen, die Hummel Bombina.

Im Kreise ihrer Familie beteiligte sich Bombina den ganzen Sommer über an den gemeinsamen Arbeiten im Hummelnest. Die Heimstätte wurde peinlich saubergehalten, das gemeinsame Lager war warm gepolstert, und volle Honigtöpfe standen immer bereit, für jeden, der davon naschen wollte. Alle, mit Ausnahme der verwöhnten Söhne, waren emsig tätig, und alle, mit Ausnahme der nicht waffentragenden Söhne, verteidigten ihr Heim mit giftgefüllten Wehrstacheln bis zum letzten gegen jeden, der mit schlimmen Absichten nahte. Von unvermeidbaren Störungen und Unfällen abgesehen, verbrachte die Familie einen gedeihlichen Sommer. Bombina genoß die vielen Freuden des Hummellebens, erfuhr das Glück der Liebe und trug die Keime zu neuem Leben in ihrem Leibe.

Bis dann im Herbst die Mutter starb, für eine Hummel hochbetagt, im Alter von vierundsechzig Wochen. Die Honigtöpfe leerten sich, Kälte drang in die Erde, immer mehr verminderte sich die Zahl der Schwestern. Vergebens suchten die Überhebenden auf den verödeten Wiesen während der kurzen Sonnenstunden nach Blüten, nach Nektar. Viele kehrten von solchen Ausflügen nicht mehr zurück, andere erfroren in kalten Nächten oder wurden in den Morgenstunden halb erstarrt von Vögeln aufgefunden und verzehrt. Als der Winter einbrach, lebten von der großen Schar nur noch die befruchteten jungen Weibchen. Sie vergruben sich, einzeln verstreut, tief in Moos oder Erdlöchern an windgeschützten Stellen des Waldes und sanken in einen todesähnlichen Dauerschlaf, fünf Monate lang. Schnee bedeckte den Boden und bewahrte die schlafenden Hummeln vor allzustarken Frösten. Erst vor wenigen Tagen waren die erstarrten Schläferinnen wieder zum Leben erwacht. So hatte auch Bombina an einem dieser warmen Vorfrühlingstage mit klammen Gliedern ihr feucht gewordenes Winterversteck verlassen.

 

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