Von Vespas Geburt und dem unterirdischen Brutofen

Damals, als Vespa geboren wurde, lag die Sonne breit und prall über reifenden Feldern. Die Luft war so mit Wärme angefüllt, daß sie glitzerte und flimmerte. Auf den versäuerten Wiesen zwischen dem Auenwald und dem Fluß geigten die Grashüpfer. Unermüdlich wetzten sie ihre Sprungbeine über die Schrilladern der Flügel. Honigtrunken summten die Bienen und Fliegen von einer Blütenschankstube in die andere. Die Hummeln brummten melodisch im tiefen Baß dazwischen. Die scheuen Grillen vor ihren Erdlöchern aber musizierten so schrill, daß den Ohren weh tat. Es war als ob das kleine Getier vor Sonnenseligkeit taumelig geworden wäre. Wie von einer vulkanischen Kraft emporgeschleudert, schossen die Wespen aus dem Daumendicken Flugloch am Feldrain. Hochbetrieb herrschte in der unterirdischen Wespenburg. Das Volk war auf fast zehntausend Seelen angewachsen. Sieben waagrecht untereinander hängende Waben umschloß die kugelige Hülle, die fast die Größe eines Kinderkopfes erreicht hatte. Das ganze Nest - die schuppenförmige Hülle, die durch kräftige Säulchen miteinander verbundenen Waben und die vielen sechseckigen Zellen - bestand aus einer Masse, die sich wie grobes, graues Packpapier ansah und anfühlte. Zwischen den einzelnen Stockwerken waberte die Treibhauswärme, die die Hitze des Sommertages noch weit übertraf. Ein richtiger Brutofen war diese Pappkugel. Und in diesem Brutofen wurde Vespa geboren.

Ihre Wiege war eine der größeren sechseckigen Zellen, die sich besonders auf den mittleren und unteren Wabenetagen befanden. In den bedeutend kleineren Zellen der oberen Waben waren die geschlechtslosen Arbeitswespen zur Welt gekommen. Denn man muß wissen: auch bei den Wespen gibt es, wie bei den Bienen und Ameisen, drei verschiedene Geschöpfe, nämlich die kleinen Arbeiterinnen, die größeren Männchen und die dickleibigen, Eierlegenden Weibchen, die Wespenmütter. Die Männchen und die Weibchen werden als Maden besser gefüttert und brauchen deshalb auch die größeren Zellen. Wie alles Volk, das hier zur Welt kam, hing auch Vespa als Made kopfunter in ihrer Wiege. Sie hatte sich, nachdem sie aus dem Ei geschlüpft war, mit ihrem Hinterleibsende an der Decke der Zelle festgeklammert und war ein hilfloser weißlicher Wurm, der von den Arbeiterinnen täglich gereinigt, trockengelegt und gefüttert werden mußte. Schlucken, Schlafen und Wachsen waren in dieser Madenzeit ihre einzigen Aufgaben. Fressen und Wachsen, das ist überhaupt alles, was von jeder Insektenlarve verlangt wird. Das Larvenleben wird ja von der Natur nur deshalb eingeschaltet, weil es nicht möglich ist, das wunderbare kleine Flugzeug des fertigen Insektes gleich aus dem winzigen Ei krabbeln zu lassen. Darum mußte also auch Vespa ihre "erste" Jugend als blinder Freßschlauch zubringen und sich mit Stoffen anfüllen, die zum Bau ihres zukünftigen Körpers gebraucht wurden.

Als Vespa genügend Blütenhonig und Fliegenfleischbrei geschluckt hatte und mit ihrem Kopf schon ein Stück über den Zellenrand hinausragte, begann sie sich einzuspinnen. Sie zog über das Zellenstübchen einen feinen, glasartigen Seidendeckel und konnte sich nun endlich fallen lassen, ohne aus der Zelle herauszukollern. Zehn Tage blieb sie so, interessante Dinge spielten sich in ihrem Puppenkörper ab; dann schlüpfte sie als blitzblanke, schwarz und gelb getigerte Wespe aus ihrer Zellenwiege.

    Dieses Flüggewerden vollzog sich übrigens ohne den Beistand der Ammen, die Vespa in ihrer Madenzeit so rührend umsorgt hatten. Vespa war kräftig genug, das Seidengespinst mit ihren Kiefern zu zernagen und aus der Zelle zu krabbeln. Von dem Wunder, das an ihr geschehen war, das sie in der kurzen zehntägigen Puppenzeit so herrlich aus einem plumpen Fleischsack in ein feingegliedertes Tier mit erstaunlichen Instinkten verwandelte, hatte Vespa keine Ahnung. Genau so wenig, wie wir Menschen uns der Tage entsinnen können, da wir noch in der Wiege lagen, vermag sich auch das fertige Insekt seiner Larvenzeit zu entsinnen.

 

Nein, für Vespa fing das Leben erst jetzt an! Wie eine Stubenfliege scheuerte sie das vorderste Beinpaar gegeneinander. Es sah aus, als ob sie sich vergnügt die Hände reibe. Dann wiederholten die zwei hinteren beinpaare dasselbe Spiel. Nachdem alle sechs Beine die genügende Gelenkigkeit erhalten hatten, kämmte sich Vespa die beiden schöngeschweiften Fühler, rieb sich die großen Augen blank und bürstete und putzte den zackigen Längsstreifen des Kopfschildes. Ihr schlanker und festgepanzerter Leib bebte und zitterte vor Lebenslust, und die vier hauchdünnen, goldbraunen und schmalsichligen Flügel gewannen merklich an Härte und Glanz.

 

Es war genau der sechste Juli als Vespa die Puppenzelle verließ und als ausgebildetes Insekt das Licht der Welt erblickte. Das heißt, vom Sonnenlicht hatte sie noch keine Ahnung. Tiefe Dunkelheit herrschte in der unterirdischen Burg und nur ein ganz feines Tastgefühl befähigte Vespa, sich überhaupt im Finsteren zurechtzufinden. Dieses Tastgefühl war so fein wie die zarten Härchen auf ihren Fühlern. Außerdem aber wurde Vespa von einem einfach unerhörten Geruchssinn geleitet, der seinen Sitz ebenfalls auf den Fühlern hatte. Vielleicht - wir wissen es nicht - hörte sie auch mit den Fühlern. Es fehlen uns Menschen die Begriffe und die Worte, um uns den Geruchssinn einer Wespe vorstellen zu können. Aber nach allem was wir über ihn erfahren konnten, arbeitet er so vortrefflich, daß er der Wespe sogar sagt, wie der Gegenstand beschaffen ist, der den Geruch aussendet.

    So war Vespa also trotz der Dunkelheit nicht im geringsten behindert, sondern fand sich sofort in ihre neue Umwelt hinein. Das erste, was sie nach dem Putzgeschäft unternahm, war das Reinigen ihrer Zelle. Tief kroch sie hinein und fegte die Wiege bltzblank. Als ob es selbstverständlich wäre, wußte sie, daß diese Zelle bald wieder gebraucht würde. Schon in der nächsten Stunde konnte die alte Wespenkönigin vorüberkommen und wiederum ein Ei in die Wiege legen wollen. Jetzt im Hochsommer wurden in den großen unteren Zellen viele junge Königinnen herangefüttert, die später einmal neue Wespenreiche gründen sollten.

    Auch Vespa war ja solch eine junge Königin. Das verriet schon ihre Gestalt. Vespa war bedeutend größer und kräftiger als die Arbeiterinnen, die sich zwischen den Waben bewegten und die Maden fütterten. Trotzdem übernahm sie für einige Tage diesen Ammendienst. Sie ließ die heimkehrenden Sammler und Jäger den mitgebrachten Honig auswürgen und sich die erbeuteten Fliegenbruststücke vorlegen und verfütterte beides an die sich windenden Maden. Wie eine alte und erfahrene Kinderpflegerin pappte sie einen Tropfen dieser durchgekauten Speise auf die kleinen Mäulchen und erkannte auch sofort, welche Made nicht gesund war. Diese kranken Geschöpfe riß sie kurzerhand aus der Zelle, schleppte sie durch den Wabengang und stürzte sie in die große Abfallgrube unterhalb des Nestes. Bei den gesunden Maden wölbte sich unter dem Nahrungstropfen ein kleiner Kropf am Hals heraus. Auf diesem Kropf blieb der Tropfen sitzen und konnte so ganz gemächlich von der Made aufgesaugt werden. Nach der Nahrungsaufnahme trat dieser Sapperlatz wieder zurück.

Wespenwabe:  Unten leere Zellen, in der Mitte geschlossene und einige noch nicht verdeckelte Zellen mit Larven, die noch ernaehrt werden muessen. Links eben ausschluepfende Wespe.

Unverdrossen lief Vespa also fütternd und sorgend in den schmalen Zwischenräumen der Waben umher und dachte nicht daran, das Nest zu verlassen. Nach der Wespenordnung, die ihr tief im Blute saß, mußte sich jede Neugeborene erst einmal der Kinderpflege widmen. Vespa gewann dabei zusehends an Stärke und Behändigkeit und lernte das unterirdische genau kennen. sie konnte zwar nicht feststellen, daß die Wespenstadt, in der sie zu Hause war, aus sieben Waben bestand, daß die oberen Waben aus ungefähr dreihundert, die mittleren Waben aber aus fast tausend Zellen bestanden, aber sie unterschied die einzelnen Wabestockwerke doch sehr sicher. Und sie wußte auch, wo Arbeiterinnen, wo Männchen und Weibchen aufgezogen wurden.

        Ein wenig später übernahm Vespa dann den Türhüterdienst. Und jetzt erst verließ sie die Papierkugel und übersah zum ersten Male das ganze Nest. In der Erdhöhle, dem verlassenen Bau eines Feldmauspaares, den die Arbeiterinnen ständig vergrößerten, befand sich das Nest ungefähr zwanzig Zentimeter unter dem Rasen. Es hing frei wie eine Lampe von der Decke der Höhle herab und bestand aus dachziegelartig übereinandergelegten Schichten, die wie graues Papier aussahen. Dadurch, daß sich die wand des Kugelhauses aus großen Schuppen zusammensetzte, zwischen denen viele kleine Lufträume lagen, wirkte diese Schutzhülle als treffliche Wärmeisolierung. Zwischen dem Nest und der Höhlenwand war ein breiter Raum ausgespart worden. Dieser Raum war nötig, damit sich die Arbeiterinnen bewegen konnten, die ununterbrochen an der Vergrößerung der Schutzhülle schafften. Außerdem aber konnte sich die Feuchtigkeit der Erde nicht dem Nest mitteilen.

    Fast zögernd begab sich Vespa endlich in den langen und schmalen Erdschacht., der in flacher Steigung nach oben führte und den einzigen Zugang von draußen zum Nest bildete. Sie war so gespannt und aufgeregt, daß sie am ganzen Leibe zitterte. Und als dann der Tag hereinschimmerte, als die Helligkeit sie immer stärker umflutete, da wußte sie, daß sie jetzt am Tor des großen Lebens stand. Wie betäubt duckte sie sich unter der blendenden und gleißenden Flut des grellen Lichtes. Ihre Flügel wirbelten und ihre Fühler zuckten. Eine ungeheure Lockung ging von der Sonnenwelt aus. Das Verlangen sich in die Lichtflut zu werfen, war stark. Aber noch stärker war das Gesetz des Blutes, das eine getreue und gewissenhafte Wacht am Wespentor gebot. Und so verließ Vespa ihren Platz nicht, sondern stürzte sich mit geradezu rasender Wut auf jegliches Getier, das sich dem Schlupfloch näherte, ganz gleich, ob es sich um einen tapsigen Käfer, einen flinken Tausendfüßler, eine dahinschleichende Schnecke oder eine neugierige Spitzmaus handelte. Sorgsam prüfte sie jede heimkehrende Wespe auf den Nestgeruch und schaute neidvoll jeder davonschießenden Sammlerin und Jägerin nach.

  

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